Letzte Woche traf ich eine unserer ersten Siedlerinnen hier am Steinbrunner See, Gertrude Maria Juliana Peyerl, Jahrgang 1929, um ein wenig über das Leben an sich und im
Besonderen am Steinbrunner See zu plaudern. Mit dabei war Eva Grill (unsere Vorsitzende des PVÖ Steinbrunn), die 2x täglich nach ihr sieht.
Ich durfte Gertrude kennenlernen beim „Frühstück am See“ des Siedlervereines, wo sie ein gern gesehener Gast ist und mir ihr Humor sofort auffiel. Die schlanke, adrett gekleidete und frisierte
Dame begrüßte mich freundlich in ihrem Wohnzimmer in der Fichtengasse.
Seit über 50 Jahren, kennt und liebt sie nun schon die Wochenendsiedlung am Steinbrunner See. Um genau zu sein, seit 1969, als sie und ihr Mann, der leider vor fast 10 Jahren verstarb, einen
Kleeacker vom alten Bauer Mesgolits übernahmen und nach und nach ihr kleines Wochenendparadies schufen. Anfangs gab es hier weder Strom noch Wasser oder gar einen Kanal. Was es jedoch gab,
waren endlose, im Wind wogende Getreidefelder. Ein Anblick, den sich Gertrude immer wieder abrufen kann und ihr Gesicht erhellt sich jedes Mal, wenn sie davon spricht. Und aus all diesen Feldern
ringsum ist eine Siedlung entstanden, erinnert sie sich.
Komfort spielte kaum eine Rolle für die Familie, denn was sie hier fanden und liebten war die Natur.
Viele glückliche Jahre verbrachten sie den Sommer und die Wochenenden in ihrem ersten kleinen 12m² Holzhäuschen. Erst 10 Jahre später bauten sie schließlich das Haus, in dem sie heute wohnt. Sie
hat es nie bereut, ganz hierhergezogen zu sein.
Gertrude lebt im Jetzt. Jeden Morgen nach dem Aufwachen geht sie von Kopf bis Fuß alles durch und schaut, ob noch alles funktioniert, ehe sie mit den Beinen in der Luft ein Weilchen radelt. So
kommt sie in Schwung, sagt sie.
Gertrude, gibt es hier etwas, das sie stört, oder das man besser machen könnte?
„Nichts. Nichts stört mich. Es ist gut, so wie es ist. Ich bin zufrieden“.
„Man muss zufrieden sein“, fügt sie hinzu.
Wie geht es Ihnen?
Ich fühle mich innerlich wie höchstens 50. Aber ich hab mich eigentlich immer wohlgefühlt, weil ich mich immer auf das einstelle, was gerade das Leben bietet.
Wenn es mal nicht anders geht, dann muss ich es nehmen, oder ich muss es lassen. Basta.
Eva wirft ein: Aber manchmal bist du schon auch unzufrieden?
Naja, mit mir selber. Manchmal, wenn ich hineinschau in den Spiegel, da denk ich mir: da ist ja scho wieder die Bissgurn da drinnen. Schick mir wen anderen!
Wir lachen herzlich. Ich kann Sie mir als Bissgurn gar net vorstellen, sage ich.
Naja, i war schon a bisserl streng. Weil ich in meinen 35 Dienstjahren immer mit Kindern zu tun gehabt habe und da braucht es schon eine gewisse
Führung.
Waren sie Lehrerin?
Nein, Kindergärtnerin. Ich besuchte die erste Bildungsanstalt, in der Kindergärtnerinnen ausgebildet wurden. Sie war oben auf der Sängerwarte in Dornbach und wurde
1945 gegründet. Da mussten wir täglich 20 Minuten hinauf marschieren. Und die *Nittel, das war meine Schulfreundin.
Später wurde ich dann Kindergartenleiterin. Da sind die Babys ab der 6. Wochen zu uns gekommen, bis sie zur Schule gehen konnten. Wir hatten daher auch 2 Säuglingsschwestern, darauf habe
ich bestanden. Die Mütter mussten damals schon sechs Wochen nach der Geburt wieder arbeiten. Daheim zu bleiben, konnte sich niemand leisten und Kindergeld gab es noch keines.
Wissen Sie, wie schön das ist, wenn sie ihnen so einen kleinen Wickel hingelegt haben? - Gertrude kämpft kurz mit den Tränen, aber sie spricht weiter – Zuerst liegt er da in dem
kleinen Strampler und dann ist er ein Schulkind. Das war ein Erlebnis für mich.
Was war das größte Glück in ihrem Leben?
Ja, dass ich erstens einmal einen lieben Mann erwischt habe, und dass ich einen Sohn habe, aus dem auch was geworden ist.
Wofür sind sie dankbar?
Dankbar bin ich für die Zeit mit meiner Familie.
Nach einer Gedankenpause fügt sie hinzu: Und dann sind da noch die wunderbaren Urlaube in der Toskana. Der Blick aufs Meer. Diese Erinnerung ist wie ein
Schatz, den ich immer abrufen kann.
Und nach einer weiteren Pause: „Und auch dieser Blick auf die Getreidefelder vor unserem Garten“.
Danke, Gertrude, für dieses schöne Gespräch.
Nittel* (sie war die Frau von Stadtrat Heinz Nittel, Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft und Mitbegründer des Jewish Welcome Service Vienna. Er wurde
am 1.5.1981 von einem Mitglied der Abu Nidal Terrororganisation vor seinem Haus erschossen.
Ihre Freundin Nittel und Gertrude hatten sich jeden Sonntag getroffen und hatten auch damals ein Rendezvous, als Gertrude im Radio hörte, was passiert war.
Was mich, Susanne Horak, mit Getrude und diesem Attentat verbindet:
Nur 4 Monate später, am 29. August 1981 verübten zwei Attentäter einen Anschlag auf die Synagoge in der Seitenstättengasse. Ich war 19 Jahre und arbeitete damals nur wenige Meter weiter am Ruprechtsplatz im Herrenmodengeschäft Amigo Moden. Wir standen gerade draußen und plauderten, als wir die ersten Schüsse hörten und Herr Turkov (er war, wie damals in der Judengasse üblich, unser „Happer“ oder Anreißer. Das bedeutet, er sprach Kunden vor dem Geschäft an, um sie ins Geschäft hereinzulocken) mich hineinschickte und mir auftrug, die Tür von innen zu versperren. Herr Turkov, der einen Krieg miterlebt hatte, wusste, wie Schüsse klangen. Ich nicht.
Damals starb eine 27-jährige Mutter und ein älterer Herr. An die 20 Personen wurden verletzt.
Die Attentäter konnten damals, auch durch die Mithilfe und das beherzte Vorgehen unseres Herrn Turkovs festgenommen werden. Einer der Terroristen war der 1956 in
Nablus geborene Palästinenser Marwan H., „Kampfname Tarek“, der später bei der Einvernahme gestand, den Mord an Heinz Nittel verübt zu haben.
Susanne Horak